von Jasmine
Da steige ich doch ohne böse Vorahnung in den Zug, um von der Arbeit nach Hause
zu fahren, Alltag halt, ein Tag, wie so viele andere, müde bin ich, da ich
letzte Nacht mal wieder nicht recht habe schlafen können und ich will es mir
also im halbleeren Wagen bequem machen - die Füsse auf das zusammengefaltete 20
Minuten legen (dafür liegen die doch da so ungefragt rum, oder?), entscheide
mich dann aus Gründen des ergonomischeren Sitzens dazu, das Blatt
auseinanderzufalten und bekomme dann zu lesen:
Feminismus ärgert Männer und Frauen
So titelt das 20 Minuten heute
(Freitag 4. Oktober). "Ach, Mensch, warum?!" denke ich und bin einen
Moment lang geneigt, die Zeitung einfach umzudrehen (gewisse Dinge vertrage ich
nicht so nahe an meinem Körper) und trotzdem meine Beine darauf zu platzieren
und mich weiterhin arglos des Wochenendes freuen, doch dann, ach, ach, merk
ich, dass es schon zu spät ist: Es ist schon in meinem Körper drin. Ungefragt,
unerwünscht eingedrungen, was für eine Anmassung, sitzt es jetzt nicht in
meinen Unterschenkeln, sondern in meinem Kopf (meine Achillesferse allemal).
Was will man da machen, man kann es da drin ja nicht verfaulen lassen, sondern
muss es wieder irgendwie rausbefördern. Rauskotzen, wenn man so will, auch wenn
man nicht will.
A propos wollen, wo wollen wir denn
anfangen?
Beim Titel, denk ich jetzt mal,
irgendwo muss man ja anfangen und das kann man ja grad beim Anfang. Also, der
Feminismus ärgert also Männer und Frauen.
Frage 1: Welcher Feminismus? (gewisse feministische Strömungen ärgern mich
nämlich durchaus, nämlich all jene, die nicht konsequent intersektional sind
und die ihrerseits zur Reproduktion von Unterdrückungs- und
Ausschlussmechanismen beitragen. Find ich ärgerlich, ja.)
Ach, ich kokettiere damit ja nur,
selbstverständlich weiss ich sehr wohl, wovon die Rede ist, wenn ein
Massenmedium (20 Minuten ist ja immerhin die meistgelesene Zeitung der Schweiz)
das Wort "Feminismus" fällt: (ja, folgender Abschnitt ist
hyperbolisch, aber leider eine durchaus viel zu realitätsnahe Zusammenfassung
des Mainstream-Feminismus-Diskurses) "Der Feminismus" ist nämlich eine
bedrohliche Bewegung, angeführt von Mannsweibern, die einerseits rumflennen,
weil sie zu wenig verdienen, zuviel Hausarbeit leisten müssen und von Männern
zu viele (oder zu wenige) Komplimente bekommen - wie ungerechtfertigt und
undankbar! und die andererseits die Männer kastrieren wollen, ihnen also Jobs
und Kinder klauen (oder sowas) - und dabei noch nicht mal hübsch und lieb
lächeln - eine Frechheit ist das.
Das also ungefähr der Topf, der
geöffnet wird, wenn ein Massenmedium tatsächlich das Wort Feminismus verwendet.
Damit, was Feminismus wirklich ist, beziehungsweise was Feminismen wirklich
sind (kritische Auseinandersetzung mit ungerechten gesellschaftlichen
Herrschaftsverhältnissen), hat das reichlich wenig zu tun. Oder was zumindest
wegfällt, ist das "kritisch". Dass es um Herrschafts-/
Machtverhältnisse geht, wird hingegen durchaus klar. Und zwar geht es um das
Verhältnis zweier als homogen gezeichneter Gruppen: Männer und Frauen.
Frage 2: Welche Männer, welche Frauen?
Unsere Gesellschaft behauptet ja
bekanntermassen die Dichotomie männlich-weiblich immer und immer wieder, auch
wenn offensichtlich klar ist, dass sie nicht aufgeht.
Die Idee von
Mann =
"männlicher
Körper" bei Geburt (Geschlechtsorgane, Chromosomen), "männlicher
Körper" nach der Geschlechtsreife (tiefe Stimme, Gesichtsbehaarung,
grösser gewachsen als Frauen, mehr Muskeln als Frauen...) =
als männlich
konnotiertes soziales Verhalten (da lässt sich so vieles einsetzen, z.B.
aggressiv aber rational, nicht an Gefühlen und Worten interessiert, wollen
immer und überall und jederzeit Frauen ficken - sprich: dominant);
stimmt auf so vielen Ebenen nicht.
Offensichtlich. Denn es gibt Männer ohne Penis, Männer mit hoher Stimme,
Männer, die lieber mit Männern als mit Frauen schlafen, Männer, die an Gefühlen
und Worten sehr interessiert sind (ich persönlich treffe eigentlich nur solche
-oh, Wunder- Männer sind auch vielschichtige Menschen, noch bevor sie Männer
sind). Und das, was diese Männer gemeinsam haben, ist einzig das Label
"Mann", dem sie sich aufgrund des Label-Zwangs zugeordnet haben.
Jeder Mensch muss entweder oder sein. Dass man nur durch das Wissen um das
Label einer Person noch nichts über die Person selbst aussagen kann (ich bin
zum Beispiel bisweilen auch sowohl aggressiv als auch rational) und schon gar
nicht von Äusseren eines Menschen auf irgend etwas schliessen kann, liegt auf
der Hand.
Immer wieder der Geschlechterkrieg
Nun was macht dieser Titel, wenn er
schreibt „Frauen und Männer“? Dem Es-gibt-zwei-und-nur-zwei-Geschlechter-Modell
nach würde das ja bedeuten „alle Menschen“. Wäre der Titel „Feminismus ärgert
alle Menschen“ also auch denkbar? Nein wäre er nicht, denn der ganze Sinn
dieses Artikel besteht darin, den sogenannten Geschlechterkrieg mal wieder zu
proklamieren:
„Männer und Frauen haben genug vom Gezänk um die Gleichstellung.“, Titelseite
wobei sie ihn ja erst anstacheln,
beziehungsweise gerade aktiv selber führen.
Wenn wir schon dabei sind, können
wir die Idee des Geschlechterkriegs als das sehen, was er wirklich ist? Bitte!
Es ist nämlich kein Krieg zwischen einzelnen „Männern“ und „Frauen“, die sich
als ebenbürtige Gegner bekämpfen, wie das gerne dargestellt wird, sondern ein
„Krieg“ zwischen solchen Menschen und Institutionen (z.B. Zeitungen), die
finden, Machtungleichheiten und die damit einhergehenden Einschränkungen von
Individuen seien eine gute Sache (auf dieser Seite sind halt meistens Menschen
und Institutionen, die von dieser ungleich verteilten Macht mehr besitzen als
die anderen) und eben den anderen, die solche Ungerechtigkeiten des Systems
keine gute Sache finden. (Dies könnte man vielleicht als weitere Definition von
„Feminismus“ nehmen – die Ungerechtigkeiten des Systems nicht als einfach
gegeben und vor allem nicht als eine gute Sache hinnehmen, sondern ein
gerechteres System anstreben)
Na, machen wir mal weiter mit den
Fragen an den Artikel – denn es kommt noch alles so viel schlimmer. Und zwar
der zweite Satz des Artikels:
„Zwei Drittel finden, es reiche mit der Emanzipation der Frauen, so eine
Studie.“
Frage 3: Welche Studie?
Auf Seite 2 wird erklärt:
„Eine nicht repräsentative Umfrage von 20 Minuten mit über 8500
Teilnehmern“.
Ach so, nicht repräsentativ, okay
und 8500 klingt nach viel, ist es aber nicht. Es scheinen 8500 gelangweilte
Menschen auf der Homepage von 20 Minuten mal ein Ja angehäkelt haben auf eine
Frage wie „nervt Sie Feminismus?“, schwer vorstellbar, dass die Umfrage auf der
Strasse oder gar in Büros in strukturierten Interviewsituationen durchgeführt
wurde. Vielleicht konnte man auch zwei Mal oder drei Mal stimmen. Wer hat da
gestimmt? Wer war auf dieser Homepage? (ich bin da nämlich beispielsweise nie)
Warum haben diese Menschen wohl beschlossen, bei dieser Umfrage mitzumachen –
Selektionseffekt? Haben alle das richtige Geschlecht angegeben, wahrscheinlich
war es ja eine Online-Umfrage? Wie waren die Fragen aufgebaut?
Also von einer wissenschaftlichen
Studie mit einer repräsentativen Stichprobe an Befragten und einem
Fragenkatalog, kann keine Rede sein, nur schon irgendein Konzept oder ein
halbwegs wissenschaftliches Forschungsinteresse – weit gefehlt. Ich meine –
sorry, was will diese „Studie“ herausfinden? Und wozu? Was ist eigentlich der
Sinn der Sache? Hä?
Na, lassen wir das, das verlorene
Liebesmüh, jedenfalls – es ist Polemik, was hier betrieben wird, und nur das,
noch nicht mal Populärwissenschaft lässt sich das nennen.
Zur Aussage der lustigen Umfrage:
„Genug von den Kampagnen für Frauenquoten und Lohngleichheit (...) 81
Prozent finden, dass genug für die Emanzipation getan worden ist.“
Entschuldigung, aber irgendwo ..
also echt ... was soll ich dazu sagen/schreiben?! Wieso wird in der
meistgelesenen Zeitung der Schweiz Menschen, die ernsthaft der Meinung sind, es
solle aufgehört werden für Lohngleichheit zu kämpfen, so viel Platz
zugestanden?! Dieser Artikel ist also nicht etwa ein harmloser polemischer
Denkanstoss zur Genderthematik (nicht dass es den in Wahrheit jemals überhaupt
gäbe), sondern er ist dezidiert ungleichheitsfördernd beziehungsweise
-bewahrend:
„Vor
allem das Thema Lohngleichheit hänge vielen zum Hals heraus. ‚Wir wissen es langsam‘, sagt Hunziker.“ (Oliver Hunziker, Präsident der
Organisation Verantwortungsvoll erziehende Väter und Mütter)
Ähm ja, das Thema hängt mir auch zum
Hals raus, es ist ein unangenehmes Thema und nur zu sehr wünschte ich mir, wir
müssten nicht mehr darüber sprechen. Solange aber geschlechtsbedingte
Diskriminierung beim Lohn (sprich: Frauen verdienen weniger, weil sie Frauen
sind) noch eine absolut unbestrittene Tatsache ist, müssen wir darüber reden:
 |
Quelle: Bundesamt für Statistik, Zahlen von 2010 |
Nur weil das irgend jemanden nervt,
der davon nicht betroffen ist (beispielsweise eben der Herr Hunziker) gibt man
doch dem nicht so eine Plattform. Als wäre das eine legitime Meinung, die man
halt so haben kann und nicht pure sprachliche Gewaltanwendung.
Er lässt sich nochmals zitieren, der
Herr:
„
‚Viele Männer, aber auch junge Frauen haben
zunehmend die Nase voll vom Geklöne der Feministinnen‘, (...)“
Es wird also das Wort den in diesem Fall Privilegierten
(„Männer“ und vielleicht auch „junge Frauen“, die wahrscheinlich kinderlos sind
– wie sehen sie Anstellungsverhältnisse dieser Menschen aus?) gegeben. Und:
Privilegierte haben schlichtweg kein (moralisches) Recht, sich darüber zu
beschweren, dass sich die Minderprivilegierten wehren. Dass sie es trotzdem tun
ist aber auch logisch, da sie ja eben etwas zu verlieren haben. Vielleicht ist
es schlichtweg naiv von mir zu finden, dass die meistgelesenste Zeitung der
Schweiz (die noch dazu gratis ist, also nicht auf KäuferInnen angewiesen ist),
nicht einfach um Aufmerksamkeit zu bekommen (die hat sie ja eh schon) den
Privilegierten soviel Platz zugesteht, mal ein bisschen nach unten zu treten.
Sie hätte den Platz mal besser dazu
genutzt, eben auf die Missstände aufmerksam zu machen, beziehungsweise
Strategien aufgezeigt, wie sich diese verkleinern liessen. Nur dazu hätte sich halt
nicht so einen catchy Titel setzen lassen.
Hätte aber mir meine Heimfahrt von
der Arbeit – wie viel verdienen da eigentlich meine männlichen Kollegen? –
nicht mit 20 Minuten Ärger ruiniert.
Und neben mich hat sich unterdessen
ein Mann in meinem Alter gesetzt, der am Telefon ist mit Laura und ihr auf
äusserst einfühlsame Weise zu helfen versucht, wie Laura denn nun ihrem „neuen
Mann“ (nicht er, ein anderer) gegenübersteht, was sie von ihm will, wie sie
sich ihm gegenüber verhalten soll. Ich lege die Zeitung weg und höre zu. Zum
guten Glück sind „Männer und Frauen“ manchmal (meistens?) einfach nur Menschen,
die sich trotz diesem allgegenwärtigen Bombardement von
Geschlechterkriegsrhetorik und Antifeminismuspolemiken einander gegenüber
respekt- und liebevoll verhalten. Und das ist doch eigentlich schon eine
unglaubliche Leistung. Ich möchte den jungen Mann am liebsten umarmen und ihm
danken, dass er Laura ein so guter Freund ist. Ich stehe auf, schmeisse die
Zeitung in den dafür vorgesehenen Abfalleimer und steige –ausgekotzt – aus dem
Zug aus.
Alltag. Ein Tag, wie so viele
andere.