Sonntag, 14. Oktober 2012

Auch du, mother monster?

von Evelyne





Lady Gaga hatte letzte Woche ein Dinnerdate mit Wikileaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London. Ich wage jetzt mal keine Beurteilung ihres Hexenhutes, aber muss doch die Frage in den Raum stellen, was das eigentlich soll. Irgendwie scheint beim Transparenz und Freiheitshelden Assange immer wieder vergessen zu gehen, weshalb er sich überhaupt in der Botschaft verstecken muss: Ihm wird in Schweden zweifache Vergewaltigung vorgeworfen, für die er sich dort vor Gericht verantworten müsste. Aus Angst vor einer Auslieferung in die USA, wo ihm eine Anklage wegen Verschwörung zum Geheimnisverrat droht, entzieht er sich nun seit Monaten der schwedischen Justiz. Verschiedene Zeitungen machen sich derweil in der Sache einen Wettbewerb daraus, die Vergewaltigungsvorwürfe als Verschwörung abzutun und Assange zum Freiheitskämpfer zu stilisieren. Nur selten wird überhaupt in Erwägung gezogen, dass die Vergewaltigungsvorwürfe berechtigt sein könnten. Typisch rape culture eben! Dem mutmasslichen Täter Assange wird wiederholt ein Forum geboten, indem er seine Zweifel am Rechtsstaat äussern kann und eine Verschwörung gegen ihn konstruiert und bedauert wird. Kaum eine Stimme fordert, dass er sich der schwedischen Justiz stellt, damit die Vorwürfe aufgeklärt werden können, bzw. damit eine Verurteilung erfolgen kann. Die schwedische Regierung hat längst versichert, dass sie Assange bei einer Drohenden Todesstrafe nicht an die USA ausliefern würden. Einem Rechtsstaat wie Schweden ist es zuzutrauen, Assange ein faires Verfahren zu ermöglichen.

Ein faires Verfahren haben die beiden Opfer Assanges bisher nicht erhalten. Sie wurden von den Medien vorverurteilt und als Lügnerinnen abgestempelt. Dabei hat Assange nach den Aussagen seines Verteidigers sehr wohl eine Frau penetriert, während sie schlief, was nur ohne ihr Einverständnis erfolgen konnte. Da sie am Tag zuvor konsensualen Sex hatten, wird dies aber in einer rape culture offenbar nicht als Vergewaltigung betrachtet. Dem Vergewaltiger wird das Recht zugesprochen, sich weiterhin am Körper der Frau zu bedienen. Im zweiten Fall bestand eine Frau, auf ein Kondom beim Sex, worauf Assange sie gewaltsam niederwarf und ohne Kondom penetrierte. Auch hier fehlt ganz klar der Konsens und macht diese Handlung zu einer Vergewaltigung. Hier wäre eine Diskussion über rape culture und darüber, wo eine Vergewaltigung beginnt, angebracht, diese findet aber in den Medien nicht statt. Die Vorwürfe werden kaum im Detail besprochen, sondern die Unschuld Assanges ohne Zweifel festgestellt.

Julian Assange hat mit Wikileaks Menschenrechtsverletzungen ans Licht gebracht und immer wieder geheime Regierungsdokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wovon diese ohne Frage profitieren konnte und ein genaueres Bild über die zum Teil fragwürdigen politischen Aktionen von legitimierten Demokratien erhalten hat. Dieser Verdienst hat aber keinesfalls mit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Mann zu tun.

Leider werden gerade Leute, die sich in einem Bereich verdient gemacht haben, gerne voreilig von jeder Schuld freigesprochen. So auch geschehen im Fall Roman Polanski oder Dominik Strauss Kahn. Im ersteren Fall engagierten sich Künstler gegen die Verurteilung im Zweiten wurde ebenfalls eine Verschwörung vermutet. Bei Strauss-Kahn stürzten sich die Medien kurz nach bekannt werden des Falles auf das Opfer und untersuchten dessen Leben unter teilweise rassistischen und klassistische Implikationen. Nicht der Täter, sondern das Opfer musste sich verteidigen und rechtfertigen, wie es in einer rape culture immer wieder geschieht.

Besonders unverständlich ist, dass gerade linke Kreise sich in der Verteidigung dieser Männer hervortaten und hervortun. (Siehe beispielsweise dieser Text bei „mein Herz schlägt Links“: Vergewaltigung der Menschenrechte,, abgesehen davon wird in diesem Text das Wort Vergewaltigung in einem anderen Zusammenhang verwendet und damit funktionalisiert und marginalisiert.) Links sein bedeutet für mich, sich unbedingt aktiv gegen Sexismus einzusetzen. Leider geht das im Fall Assange, der offenbar eine Lichtgestalt der Transparenz darstellt, vergessen.
Ein bisschen Reflexion würde in diesem Fall nicht schaden. Schaut mit wem ihr euch an einen Tisch setzt, auch du, Mother Monster.

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Nachtrag, 15.10.12: Die Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Uni Wien hat einen offenen Brief an die künstlerische Leitung des “brut wien” geschrieben, welches im Oktober das Theaterstück “Assassinate Assange” aufführen wird. In diesem wird Julian Assange als entrechteter Märtyrer dargestellt.

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