Montag, 24. Februar 2014

The Wolf of Wall Street


von Jasmine


Google ist weise.








Aufgepasst! Hier meine Rede an alle, die sie hören wollen, auch wenn ich dafür weder viel Geld (bzw. überhaupt Geld) noch einen Oscar bekommen werde und keinen Designeranzug trage und nicht in einer Luxusloft in New York wohne, wo mir meine Frau den Rücken freihält, so trage ich sie doch mit sehr viel Überzeugung und Enthusiasmus und wölfischem Geheul vor, und das wird ja wohl reichen, um gehört zu werden. Oder?
Oder?

Also.

Liebe Leute, die ihr „The Wolf of Wall Street“ gesehen habt, wie hat es euch gefallen? Alle anderen: Falls ihr ihn noch sehen wollt, macht euch auf etwas gefasst und lest jetzt nur weiter, falls es euch nichts ausmacht, vorab etwas über den Film zu erfahren.

Hoch lebe der Kapitalismus, der immer mehr will, grösser werden, der sich nicht um Konventionen schert, weil er sich die Regeln selber gibt, der sich stets treu bleibt, indem er alles und jeden verrät, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Ideologie, die daraus besteht, eben keine zu haben.

„It’s me taking no for an answer. It’s them selling me, not the other way around. It’s me being a hypocrit is what it is. You know what? I’m not leaving!
(Übersetzung ungefähr: Das bin ich, der ein Nein akzeptiert. Es sind sie, die mich/mir verkaufen, nicht umgekehrt. Das bin ich, wie ich ein Heuchler bin. Wisst ihr was? Ich gehe nicht!)
 
   - Jordan Belforts plötzliche Einsicht, dass er sich nicht wie beabsichtigt der Justiz stellen kann, sondern weiterhin seine Firma weiterführen muss, weil er ansonsten seine Grundüberzeugungen verraten würde.

Leonardo di Caprio betrügt und lügt , fickt, ja vergewaltigt und vor allem kauft sich in seiner Rolle als Jordan Belfort so unglaublich charmant und eloquent durch diesen dreistündigen Film, dass man zwar den Sinn von all dem am Ende nicht recht versteht (Tipp: Der Sinn liegt darin, dass es keinen gibt und auch keinen hat), aber mit feuchten Äuglein im Publikum sitzt und denkt: „Ich habe die richtige Lösung! Ich weiss wie man den Stift verkaufen kann! Denn ich, ich, ich habe aufgepasst!! Ich weiss (jetzt), wie man’s machen muss!“




Ja, so sitzen wir, in den Bann gezogen.
Wir haben die Message angenommen, wie wir das uns halt so gewohnt sind und ich will sie nochmals wiederholen an dieser Stelle, ja, ich will sie euch in dieser meiner Rede nochmals entgegenbrüllen:
Lasst euch verführen!
Vom Geld oder der Aussicht darauf, von teuren Sportwagen, Yachten und Villen oder der Aussicht darauf, vom Bewundertwerden oder der Aussicht darauf, vom immergleichen Spiel des Gewinnenwollens, des Ersterseinwollens; lebt das schnelle Leben, habt nie genug, wollt immer mehr, erliegt dem Charme, liebe Kinobesucher (und legt eure Frauen flach.)
Lasst euch von den Jordan Belforts dieser Welt weiterhin mit Golduhren abspeisen, damit ihr ihnen eure Arbeitskraft und euer Geld geben könnt.
Lasst euch die Illusion verkaufen, jemals so reich werden zu können wie sie es sind.
Lasst euch die Illusion verkaufen, so reich wie sie sein zu wollen, sei ein erstrebenswertes Ziel, in das es sich lohnt, euer Leben zu investieren.


„Are you behind on your credit card bills? Good, pick up the phones and start dialing! Is your landlord ready to evict you? Good! Pick up the phone and start dialing. (...) I want you to deal with your problems by becoming rich! All you have to do today is pick up the phone and speak the words that I have tought you. And I will make you richer than the most powerful CEO in the United States of fucking America.“
(Übersetzung ungefähr: Bist du im Verzug mit deinen Kreditkartenrechnungen? Gut, nimm den Telefonhörer ab und fang an zu wählen! Will dein Vermieter dich rauswerfen? Gut! Nimm den Telefonhörer ab und fang an zu wählen! Ich will, dass ihr eure Probleme löst, indem ihr reich werdet! Alles was ihr heute machen müsst, ist den Hörer abzunehmen und die Worte zu hineinzusprechen, die ich euch beigebracht habe. Und ich werde euch reicher machen als den mächtigsten CEO in den verdammten Vereinigten Staaten von Amerika.)

           - Jordan Belfort, beziehungsweise Leonardo di Caprios epic speech


Lasst euch ja nie sagen, es gäbe eine Alternative zu dem ganzen Spiel.
Weil dann müsstet ihr euch ja plötzlich ernsthaft mit euch selbst und euren Mitmenschen auseinandersetzen.
Weil dann müsstet ihr euch ja plötzlich fragen warum.
Weil dann würdet ihr vielleicht plötzlich anfangen darüber nachzudenken, wie dieses System euch abhängig hält und wie ihr darin eingewickelt seid und davon profitiert, dass es anderen noch beschissener geht als euch.
Weil dann würdet ihr plötzlich merken, dass das Versprechen nicht wahr werden kann, denn es können ja nicht alle gewinnen, das liegt in der Natur der Sache – ohne Verlierer keine Gewinner. 

Das gilt selbstverständlich aber nur für euch alle und nicht für mich, denn ich werde gewinnen, weil ich ja weiss, wie man den Stift verkaufen kann.
Und alle diejenigen, die es nicht wissen, hätten halt besser zuhören sollen und besser mitdenken müssen und wenn sie das nicht tun, wenn sie beispielsweise gar nicht im Kino waren, weil sie sich das Ticket nicht leisten konnten, oder lieber einen Spaziergang machten, die sind halt selber schuld.
Hätten sie halt mal.
Ich hab halt.
So ist es gerecht.
Und wenn es nicht gerecht ist, so ist es halt einfach so.
Tja.
Nur nicht zu viel fragen. Sich ablenken hilft. Sei es mit Drogen, Sex, Gewalt, Nervenkitzel, Arbeit oder (nur) mit einem Kinofilm.

haha, Hilfe!

Das Popcornpack ist leer.
Da sitzen wir also.
Und? Wie fanden wir den Film?
Fanden wir ihn eigentlich ziemlich langweilig?
Fanden wir, er habe irgendwie keinen wirklichen Spannungsbogen, sondern sei nur eine Aneinanderreihung des Immergleichen?
Fanden wir die Reden abgelutscht oder irgendwie schon noch motivierend?
Fanden wir Leonardo di Caprio sexy?
Fanden wir all die nackten Frauen sexy?
Fanden wir es lustig oder doch schon etwas ungerecht, dass der Protagonist so ungeschoren davonkommt?
Fanden wir es verständlich oder doch ein wenig verwerflich, dass diese Männer reich werden, indem sie von armen Leuten klauen?
Fanden wir es nachvollziehbar oder nicht ganz in Ordnung, dass diese Männer reich werden, indem sie dadurch, dass sie manchmal Golduhren verteilen, aber die Gesamteinnahmen für sich behalten, diejenigen, die so gerne so wären wie sie, daran hindern zu merken, dass sie sich dringend andere Vorbilder suchen sollten?
Fanden wir es lustig oder etwas eklig, wie die weissen Heteromänner im Film die Nichtmänner und Nichtweissen und Nichtheteros als ihren rechtmässigen Besitz verstehen und dementsprechend behandeln?


Haben wir die Moral der Geschichte vermisst?

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