Ich veröffentliche hier einen Text, den ich zum Thema "Politische Sprache in der Schweiz" geschrieben hatte und der vom Verleger einer Zeitschrift (der mir das Thema gegeben hatte) mit der Begründung abgelehnt wurde, er sei zu hetzerisch.
Meinungen dazu?
Wenn
Sprache ausschliesst
Von Jasmine
Kriminelle Ausländer,
schleichende Islamisierung, zu verschärfende Kuscheljustiz, zu überwachende
Sozialschmarotzer, zu bremsende Einwanderungsflut, allesamt ausschaffen,
abschieben, getrieben die Anderen, abgeschrieben der Anstand, gross geschrieben
die SPRACHE DER GEWALT. So ist das heute. (War es mal anders?) Auf Plakaten
prangen dunkle Hände, die Schweizer Pässe klauen, Raben, die die Schweiz
fressen wie ein Biskuit, schwarze Kriegsstiefel, die auf die Schweizerfahne
stampfen. Das unschuldige Weiss-Rot ist bedroht, die Heimat gefährdet. Sie muss
verteidigt werden. Das Boot ist voll.
Ach nein, das ist ja was
anderes, lange her, hat mit dem Jetzt nichts zu tun. Der Heimatmythos pflegt
sich besser ohne Auseinandersetzung mit der Geschichte; die traditionellen
Bauernhemden, die tatsächlich in den 1970er Jahren erfunden wurden[1],
geben sich als Urtradition aus. Urschweizerisch, urmännlich, starke Eidgenossen
begiessen sich gegenseitig mit polemischen, populistischen Gedankenergüssen.
Der Schweizer das Opfer? Und die Schweizerin? Ja, die Ausländerin? Aber zurück
zum Schweizer – wenn er das Opfer ist, wer ist dann der Täter? Was ist Schuld
an der Ungerechtigkeit?
Ein Spätkapitalistisches
System, das seine ungerechte Verteilung der Güter immer weniger verschleiern kann?
Die Tatsache, dass die Eltern von 45 Prozent aller Studierenden an einer
Schweizer Universität selber AkademikerInnen sind, dass die soziale
Durchlässigkeit also zu gering ist?[2]
Nein – Schuld sind die
Frauenhäuser, die Asylunterkünfte, die Lehrerinnen-Zimmer, beziehungsweise
deren jeweilige Insassen.
Ach, das ist nur
politisches Geplänkel, das ist ja nicht so ernst zu nehmen, alles halb so
schlimm? Wer es sich einmal antut, auf dem Tagi-Online die Artikel-Kommentare
zu lesen, wird sofort feststellen, wie sehr diese Sprache, dieses trotzige
„Ich-will-jetzt-einfach-etwas-Diskriminierendes-sagen-das-steht-mir-zu-ich-bin-ein-freier-Bürger“
zum Mainstream geworden ist. Herabgestiegen von den zumindest umstrittenen
Hetz-Plakaten, hat sich diese Schamlosigkeit, das eigene soziale Privileg gegen
Minderprivilegierte auszuspielen, geradezu heimelig eingenistet in der warmen,
idyllischen Schweizer Stube. Und dazu ein kühles Bierchen.
Direkte
Demokratie, das abgenutzte, tot geredete Wort. Direkte Demokratie als
diktatorisch eingesetzte Manipulationskeule – so viele Frustwähler, noch mehr
Nichtwähler, zu viele Nichtwahlberechtigte, alle ohne Zugang
-->
zu klaren, sachlichen
Informationen in einer Flut angsterfüllter, wuterfüllter Botschaften. Kaum
entscheidbar, was davon Sinn macht.
Helfen würden da Geschichtsbücher,
um die „Das Boot ist voll“ -Parole richtig verorten und darüber zu erschrecken,
dass sie heute so aktuell wirkt. Nein, es droht keine durchorganisierte
Tötungsmaschine, sondern Chaos, Hunger, Perspektivlosigkeit. Es ist eine andere
Situation, in einer anderen Zeit, mit anderen Menschen, aber der gleiche
Ausschlussrhetorik. Denn diese funktioniert immer gleich: Sie zeichnet „die
Anderen“, die „Nicht-Wir“. Dass sich im „Wir“ niemand sicher fühlen kann, macht
das Zeigen auf die Anderen, das sprachliche Abwerten der Anderen um so wichtiger,
es rettet einen selbst vor dem Ausschluss.
Und so plädiere ich dafür,
in einer Sprache frei von Polemik und Zynismus, kritisch und empathisch zu
bleiben und in dieser unsicheren Zeit den Blick statt hin zu rassistischen
Plakaten zum Leiden anderer hinzuwenden. Und mit den Anderen zu sprechen, nicht über sie. Und plötzlich sind sie wieder Teil des Wir.
1 Tobias Scheidegger "Stoff aus dem Traditionen sind", Rosa 45
2 Bundesamt für Statistik
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